Mircea Cartarescu, der Verwandlungskünstler aus Bukarest von Norbert Mayer/ Die Presse 27.07.2015


Am Montag erhält der rumänische Schriftsteller in Salzburg den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Selten ist eine Auszeichnung derart angebracht.

"Meine Welt handelt von Menschen, Göttern und Dämonen", erklärte der rumänische Dichter Mircea Cartarescu in der "Presse", nachdem 2014 der abschließende Band seiner "Orbitor"-Trilogie auf Deutsch erschienen war - ein Meisterwerk von gut 1800 Seiten, an dem er nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa 1989 insgesamt fast ein Dutzend Jahre geschrieben hat. Es spielt vorwiegend in seiner Heimat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und endet mit dem Umbruch, der Erschießung des Diktators Nicolae Ceauçescu und seiner Frau Elena. Diese drei Romane sind "komplex wie ein Termitenbau", sagt Cartarescu. An die 40 Erzählstränge hat er darin verbaut. Er dachte dabei an ein altes Triptychon, das Paradies, Welt und Hölle darstellt.

Vor allem für dieses Opus magnum erhält der 59-Jährige heute, Montag, in Salzburg den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Diese Auszeichnung wird für "ein literarisches OEuvre mit internationaler Ausstrahlung" vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Selten ist sie so verdient. Mit den drei Bänden "Die Wissenden", "Der Körper" und "Die Flügel" (im Verlag Zsolnay erschienen, aus dem Rumänischen übersetzt von Gerhardt Csejka und Ferdinand Leopold) hat Cartarescu Weltliteratur geschaffen. Wer den tragischen Verlauf der Geschichte Osteuropas sinnlich wie intellektuell nachempfinden will, nicht als platte Chronik, sondern in kunstvoller Fiktion, die mehr an Wahrheit in sich birgt als nur bloße Wirklichkeit, lese diese Trilogie.

Hier wird nach Sinn in einem von Chaos beherrschten Kosmos gesucht. In seinen Büchern mischen sich das Reale (oft als Satire) und das Fantastische, er beschreibt beklemmend sexuelle Obsessionen, erfindet seltsame Fabelwesen. Im Kopf eines Säufers wächst zum Beispiel ein Fötus heran, so wie in der Lunge des Diktators. Und immer wieder taucht das Leitmotiv eines verlorenen Zwillings auf, ein Trauma, das auf höchst poetische Weise bewältigt wird. Ein starkes Symbol in dem vielschichtigen Text ist der Schmetterling. Auf dessen Körper und Flügel beziehen sich die Titel im Original. Bei der Lektüre von Ovids "Metamorphosen" fiel dem Dichter auf, wie wunderbar die Verwandlung dieser Tiere sei, die zuvor als Raupen und Puppen existieren: "Vielleicht sind die Menschen durch sie darauf gekommen, dass es eine Seele und ein Leben nach dem Tod gibt." Die Bibel ist für diesen Literaten, der atheistisch erzogen wurde, übrigens das größte Buch, das jemals geschrieben wurde.

Cartarescu stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war "ein reiner Kommunist, meine Mutter eine bescheidene Frau vom Lande". Von ihr hat er den Hang zu starken Träumen. Er studierte Philologie, war Hauptschullehrer, vor 1989 schrieb er vor allem Lyrik, für die er bereits mit Mitte zwanzig eine hohe Auszeichnung erhielt. Mehr als ein Dutzend weitere Preise folgten, zuletzt im Frühjahr der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für "Orbitor".

Vorbilder: Borges, Nabokov, Pynchon

Er selbst hält das Versepos "Levantul" für sein bestes Werk (es ist bisher nicht übersetzt). Erst mit postmoderner Prosa aber wuchs sein Ruhm weit über die Landesgrenzen hinaus. Schon in der Dissertation hatte er sich mit Methoden literarischer Erneuerung beschäftigt. Der "nouveau roman" war damals en vogue. Bleibende Vorbilder sind ihm Jorge Luis Borges, Vladimir Nabokov, Thomas Pynchon. Inzwischen ist Cartarescu selbst stilbildend, mit seinem immensen Reflexionsvermögen, seiner erzählerischen Wucht und seiner überbordenden Fantasie. Sieht er sich eher als Romancier oder als Dichter? Er bekennt: "Der einzige Unterschied, den ich zwischen Gedichten und Prosa mache, besteht darin, dass ich bei der Poesie linksbündig schreibe und nicht die ganze Zeile fülle wie bei den Romanen."