REKONSTRUKTION: FILMLAND RUMÄNIEN IV

Ort: Zeughauskino, Unter den Linden 2, 10117 Berlin.

Tickets: 5 €. Mehrere Infos über Reservierungen hier.

Über vier Jahre sind vergangen, seit der letzten Ausgabe der Filmreihe Rekonstruktion. Filmland Rumänien, eine Zusammenarbeit des Rumänischen Kulturinstituts Berlin mit dem Zeughauskino. Seitdem ist die Welle aufregender Filme aus Rumänien nicht verebbt. Im Gegenteil: die rumänische Kinematografie ist vielfältiger geworden, und neben die Regisseure des ersten Aufbruchs, deren Filme nach wie vor auf den großen internationalen Festivals uraufgeführt und ausgezeichnet werden, sind neue Filmemacherinnen und Filmemacher getreten. Unverändert ist allerdings auch die eingeschränkte Sichtbarkeit des rumänischen Films, von dessen Reichtum, Originalität und Vitalität sich hierzulande kein größeres Bild gewinnen lässt. Rekonstruktion: Filmland Rumänien versammelt deshalb außergewöhnliche Produktionen der letzten vier Jahre und lädt dazu ein, die in den ersten drei Ausgaben der Reihe begonnenen Werk-, Stil- und Motivgeschichten fortzuschreiben. Dazu werden auch einige Filmgespräche stattfinden (genaue Termine werden in Kürze bekanntgegeben) . Für ihre wertvollen Hinweise bei der Vorbereitung der Filmreihe danken wir Irene Rudolf und Klaus Volkmer. 


An folgenden Abenden werden Filmgespräche stattfinden:

Mittwoch, 06. März 2019, mit der Regisseurin Ivana Mladenovic, im Anschluss an die Vorführung von Soldiers. Story from Ferentari.

Dienstag, 12. März 2019, mit der Drehbuchautorin Xandra Popescu und dem Kameramann Matan Radin,  im Anschluss an die Vorführung von Jagd. (Gespräch wird in englischer Sprache geführt)

Sonntag, 24. März 2019, mit der Produzentin Bianca Oana, im Anschluss an die Vorführung von Touch Me Not.

Dienstag, 26. März 2019, mit der Cutterin Dana Bunescu, im Anschluss an die Vorführung von Ana, mon amour.

Programm:

DI 26.02. zum 19.30 Uhr · Eröffnung der Filmreihe

I Do Not Care if We Go Down in History as Barbarians

RO/D/BG/FR/CZ 2018, R: Radu Jude, B: Radu Jude, Florin Lazarescu, K: Marius Panduru, D: Ioana Iacob, Alexandru Dabija, Alex Bogdan, 139' · DCP, OmU

Mihai Antonescu, einst Justiz- und Propagandaminister, später dann Außenminister und Vizepräsident der faschistischen Regierung in Rumänien, war nicht mit dem Marschall Ion Antonescu verwandt. Der Filmtitel I Do Not Care if We Go Down in History as Barbarians ist ein Zitat des ersteren, das gerne zweiterem untergeschoben wird. Eine Finte die Namensgleichheit. Eine Finte der Filmtitel: Wer geht in die Geschichte als Barbar ein?

Ioana Iacob spielt die Theaterregisseurin Mariana Marin, die zu Beginn des Films in Brechtscher Manier und Godard zitierend von sich sagt, sie sei leider nicht die Lyrikerin Mariana Marin. Und wie oft hatte die rechtsextreme rumänische Presse Radu Judes Nachnamen ganz unverhohlen geraunt? Die Figur Mariana Marin probt im Bukarester Freilichtmuseum für Militärgeschichte mit einem Verein Waffenbegeisterter ein Reenactment des Massakers von Odessa und liefert sich mit einem vom Theaterregisseur Alexandru Dabija gespielten Vertreter der Stadtverwaltung einen Schlagabtausch über Repräsentation. Ihrem per Skype zugeschalteten Liebhaber liest sie Isaac Babel und Agamben vor. Die manifesten Widerstände, denen sie sich ausgesetzt sieht, meistert sie mit Beharrlichkeit. Und am Ende tragen die Zuschauer des kruden Open-Air-Spektakels das ihrige zum Filmtitel bei.(ir)

MI 27.02. um 20 Uhr

Alice T.

RO/FR/SE 2018, R: Radu Muntean, B: Radu Muntean, Alexandru Baciu, Razvan Radulescu, K: Tudor Lucaciu, D: Andra Guti, Mihaela Sîrbu, Cristine Hambasanu, 105' · DCP, OmeU

Keine Protagonistin eines Film von Radu Muntean war bisher so jung. Alice T. geht noch auf ein Bukarester Gymnasium, als sie schwanger wird. Sie hat Freundinnen, deren Väter sich mit aufs Sofa setzen, wenn sie am Nachmittag noch schnell in die Wohnung müssen und die Mädchen vorgeben, einen Film zu sehen. Und sie hat eine Adoptivmutter, die ihr die Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon vorliest, um über Dinge zu sprechen, die Alice ihr verbirgt. Munteans aktueller Filmist das Portrait einer neuen Generation und eine konsequent durchdachte Bestandsaufnahme ihrer sozialen Interaktionen mit Gleichaltrigen und Autoritäten. Ein Film über einen Teenager, der sich wie ein umgedrehter Handschuh nach außen stülpt. (ir)

FR 01.03. um 21 Uhr

DI 05.03. um 20 Uhr

Der Schatz

RO/FR 2015, R/B: Corneliu Porumboiu, K: Tudor Mircea, D: Cuzin Toma, Adrian Purcarescu, Corneliu Cozmei, 89' · DCP, OmU

Wer sich daran erinnert, mit welcher diabolischen Präzision Vlad Ivanov als Vorgesetzter dem jungen Polizisten in Porumboius Politist, adjectiv die Semantik des Adjektivs polizeilich entgegenschleudert, der wird von Anfang an wissen, wie wichtig die Semantik in Porumboius Filmen ist. Comoara sieht dem jungen Familienvater Costi dabei zu, Geld, Detektor und Ausgrabungen zu besorgen, um für den Preis einer Gewinnbeteiligung seinem durch die Zinsen für die Bukarester Eigentumswohnung in finanzielle Not geratenen Nachbarn Adrian dabei zu helfen, einen Schatz zu heben, der möglicherweise unter einem Baum auf dem urväterlichen Grundstück in Islaz liegt. Und es ist wieder die Ehefrau, die die nüchterne Schatzsuche befeuert, wie einst in dem melancholischen Polizeifilm Politist, adjectiv. Sie weiß, dass Söhne reicher Familien in Islaz die Revolution von 1848 ausriefen.(ir)

SA 02.03. um 19.30 Uhr

Sieranevada

RO/FR/BA/HR/MK 2016, R/B: Cristi Puiu, K: Barbu Balasoiu, D: Mimi Branescu, Bogdan Dumitrache, Dana Dogaru, Ana Ciontea, 173' · DCP, OmeU

Cristi Puiu, „the godfather of Romanian cinema“ (Variety), der Pate, dessen Filmtitel seit Aurora militärischen Geheimoperationen gleichen. In Sieranevadaist der Patriarch schon eine Weile tot, und seine Witwe will den wiederkehrenden Jahrestag nach alter Sitte seines Dorfes begehen. Dazu gehört ein Anzug, den einer der Gäste, die in der engen Stadtwohnung zusammenkommen, geschenkt bekommt. Wenn er ihn anzieht, sitzt der Tote statt seiner am Tisch.

Kinder, Neffen, Nachbarn und entfernte Verwandte müssen mit dem Essen auf den Popen warten – und auf die Nahtänderung am Anzug, der dem Auserwählten zu weit ist. Die spannende Frage dabei ist, wer den Platz des toten Königs, des abwesenden Patriarchen, einnimmt, während die Gäste hungrig werden. Und Puiu wäre nicht „the godfather of Romanian cinema“, wenn er darauf keine Antwort wüsste.(ir)

MI 06.03. um 20 Uhr

Soldiers. Story from Ferentari

RO/RS/BE 2017, R: Ivana Mladenovic, B: Ivana Mladenovic, Adrian Schiop nach dem Roman von Adrian Schiop, K: Luchian Ciobanu, D: Adrian Schiop, Vasile Pavel ‚Digudai', Kana Hashimoto, 119' · Blu-ray, OmeU

Adrian Schiops Roman Soldatii war bei seinem Erscheinen 2013 eine literarische Sensation. Direkt, lapidar und schonungslos schreibt da einer – über Sex. Mit einem Mann. Mit einem Rom. Mit einem Rom, der lange im Gefängnis saß und dort vergewaltigt wurde. Es sind die zärtlichsten Stellen des Buches, in denen der Doktorand Adi darüber sinniert, wie Alberto, der Rom, keine andere Zärtlichkeit ausgebildet hat als die, die das Leben ihn kennenlernen ließ. Und Adi ist berührt davon und möchte von Alberto berührt werden, vielleicht der größte Tabubruch des Buches. Adrian Schiop ist ein offen homosexueller Autor, der wie die Figur Adi ins Roma-Viertel Ferentari gezogen ist und zur dortigen Musik der „Manele" veröffentlicht hat. Es liegt ein wilder, anarchischer Witz in Adi, dem Grenzgänger, der mit einem jammernden Alberto im Schlepptau der Peripherie verfällt, dem Alkohol, dem Sammeln von Zigarettenstummeln. Seine Künstlerfreunde aus der Innenstadt sind entsetzt. Ivana Mladenovic hat für ihr Regiedebüt Adi mit dem Schriftsteller Schiop besetzt, und der Bürgerschreck, den das Buch nach außen kehrt, zeigt sich im Film unmittelbar – oder zieht sich wieder in Adis/Schiops lauernden Blick zurück.(ir)

DO 07.03. um 20 Uhr

Fixeur

RO/FR 2016, R: Adrian Sitaru, B: Claudia Silisteanu, Adrian Silisteanu, K: Adrian Silisteanu, D: Tudor Aaron Istodor, Mehdi Nebbou, Adrian Titieni, 100' · DCP, OmeU

Die Lebenswirklichkeiten von Sitarus Figuren können so weit weg voneinander liegen, wie sie in Rumänien nur entfernt sein können. Darin lag schon die Stärke seines ersten Kurzfilms Valuri, darin liegt auch die Konfrontation von Fixeur, dem rumänischen Anwärter für den Auslands-Oscar 2017. Als Kameramann einer französischen Presseagentur in Bukarest verkauft Radu einem anderen Fernsehjournalisten als „Fixer" einen Scoop: nach Bistita fahren, in den ärmlichen Nordosten Siebenbürgens, und als einziger die vierzehnjährige Anca interviewen, die aus Frankreich ausgewiesen wurde, nachdem sie in Paris zur Prostitution gezwungen wurde und Anzeige erstattet hatte. Axel und sein Kameramann Serge reisen an und haben keine Skrupel, Ancas nichtsahnende Mutter vor laufender Kamera mit dem Schicksal der Tochter zu demütigen – und Radu arbeitet sich weiter unter Ausnutzung landestypischer Kniffe bis zu der in einem Kinderheim von Nonnen protegierten Anca vor. Mit jedem Hindernis, das die Reportage überwindet, steigt die Fallhöhe der an ihr beteiligten Figuren.(ir)

FR 08.03. um 21 Uhr

Two Lottery Tickets

RO 2016, R/B: Paul Negoescu, K: Ana Draghici, D: Dragos Bucur, Dorian Boguta, Alexandru Papadopol, 86' · DCP, OmeU

Es ist nicht wenig „guilty pleasure" im Spiel: Dragos Bucur und Alexandru Papadopol genießen Kultstatus, seit sie sich vor 15 Jahren für Cristi Puiu ins Auto setzten und mit Marfa si banii das neue rumänische Kino ins Rollen brachten. Jetzt zwängen sie sich in einen vorrevolutionären Dacia, zeigen ihre Geheimratsecken und lamentieren. Sie sind Sile und Pompiliu, die sich mit ihrem Freund Dinel aus dem Nirgendwo nach Bukarest aufmachen, um die Diebe einer Bauchtasche zu finden, in der sich ihr Gewinnerlos befinden soll. Eine Spur haben die drei Loser nur, weil sie davor Türen öffneten wie andere Adventskalender: da die Dealer, da die Wahrsagerinnen, dort die Prostituierten mit Herz. Eine Low-Budget-Produktion unter Freunden nach dem sehr geliebten und sehr liebenswerten Nationaldramatiker Caragiale.Der heimische Box-Office-Hit 2016. (ir)

SA 09.03. um 21 Uhr

The Dead Nation

RO 2017, R/B: Radu Jude, unter Verwendung der Tagebucheinträge von Emil Dorian und der Glasplatten von Costica Acsinte, 83' · DCP, OmU

Tara moarta, wörtlich Das tote Land, vereinigt drei disparate historische Materialien: Silberplattenportraits aus einem Fotostudio in der Provinz, Tonaufnahmen des faschistischen Rumänien und Auszüge aus den Tagebüchern des jüdischen Arztes Emil Dorian. Die Glasplatten von Costica Acsinte sind außerhalb Rumäniens das vielleicht bekannteste Material, weil sie an Adget erinnern und weil man auf Flickr ihre Rettung verfolgen kann. Das Tonmaterial aus der Zeit der Eisernen Garde ist dagegen weniger bekannt und in Rumänien tabuisierter als vergleichbare Dokumente der NS-Diktatur. Radu Jude alteriert dieses mit Emil Dorians Einträgen, die das Aufkommen des Antisemitismus und die rumänische Judenverfolgung festhalten. Der letzte Band Dorians wurde erst 2012 veröffentlicht, der erste 1996, nachdem er 1982 im Ausland erschienen war. Erst 1996 erschien auch das Tagebuch von Mihail Sebastian. Philip Roth wollte es neben Anne Franks Tagebuch gestellt sehen.So aktuell ist Radu Judes Einsatz. (ir)

SO 10.03. um 18 Uhr

Graduation

RO/FR/BE 2016, R/B: Cristian Mungiu, K: Tudor Vladimir Panduru, D: Adrian Titieni, Maria Dragus, Lia Bugnar, 128' · DCP, OmeU

Cristian Mungiu und Cristi Puiu sind in gewissem Sinne Antagonisten. Hier der mächtige Erzähler einzelner Werke, der mit 4 luni, 3 saptamîni si 2 zile den internationalen Durchbruch für die rumänische Kinematografie erreichte; dort der revolutionäre Begründer des neuen Kinos, der eine Filmografie als konsistente Filmevolution entwickelt. Bacalaureat ist ein verhältnismäßig kleiner Film, der mit Maria Dragus eine in Deutschland aufgewachsene binationale Schauspielerin castet, um mit Adrian Titieni als ihrem Vater einen Generationenkonflikt durchzuspielen, der sich an der Wirklichkeit entzündet: Als die Tochter einen Tag vor dem Abitur vergewaltigt wird und sich durch Gegenwehr den Arm bricht, korrumpiert der Vater das Ergebnis ihrer Prüfung für ihre Zukunft, um seine Vergangenheit zu rechtfertigen.Die Gegenwart, das ist die Zeit des Films. (ir)

DI 12.03. um 20 Uhr

FR 15.03. um 19 Uhr

Jagd

D 2017, R: Alexandra Balteanu, B: Alexandra Balteanu, Xandra Popescu, K: Matan Radin, D: Corina Moise, Iulia Lumanare, Iulia Ciochina, 75' · DCP, OmU

Die titelgebende „Jagd" (Vânatoare) machen die drei jungen Frauen Lidia, Denisa und Vanesa unter einer Landstraßenbrücke, als Prostituierte auf der Suche nach Kunden. Ein wenig jagen die Freundinnen Lidia und Denisa, die sich schon im Bus auf dem Weg zur Brücke treffen, auch Vanesa, weil sie in ihr Revier eingedrungen ist. Der großmäulige Wirt im Imbiss daneben will keine der Frauen protegieren. Und in der Dämmerung machen zwei Streifenpolizisten Jagd auf die magere Beute der Frauen in ihrem Revier. epd Film sieht nichts als Tristesse, wo die dffb-Studentin Alexandra Balteanu und ihre Co-Autorin Xandra Popescu offensichtlich einen emanzipatorischen Wurf wagen: Hurenalltag als Nebenverdienst, Blick auf die Details – wo die Straßenkleidung verstauen, wo essen, wo pinkeln – und die narrative Komponente so niederschwellig haltend, dass die Fiktion als dokumentarisch empfunden wird.(ir)

DO 14.03. um 20 Uhr

The Anniversary

RO 2017, R/B: Dan Chisu, K: Liviu Pojoni Jr., D: Mircea Albulescu, Razvan Vasilescu, Constantin Cojocaru, 86' · DCP, OmeU

Der uralte Patriarch ist unfähig, ohne fremde Hilfe zu gehen oder zu sprechen, und die Feier zu seinem 94. Geburtstag ist offensichtlich eine Strafe für ihn. Er muss zusehen, wie seine Kinder darüber streiten, ob er einen Priester oder einen Psychoanalytiker sehen soll, während sich im Nebenraum schon zwei Geistliche unterschiedlicher Konfessionen und ein Arzt versammeln. Alte Weggefährten des hohen Geheimdienstfunktionärs sind auch geladen. Der schelmische Nationaldramatiker Caragiale hätte sich zwei Stunden allein mit den Begrüßungsritualen beschäftigt, mit denen die Gäste einander vorgestellt werden: eine Armada der Gefälligkeiten und Dienste, die der eine oder andere dem einen oder anderen ein oder ein andermal erwiesen hat. Am Ende kommt die Ambulanz und es wäre eine Erleichterung für den Patriarchen, wenn er gemeint gewesen wäre.Aber die Hölle sind die anderen. (ir)

SO 17.03. um 18 Uhr

MI 20.03. um 20 Uhr

Scarred Hearts – Vernarbte Herzen

RO/D/FR/BE 2016, R: Radu Jude, B: Radu Jude, frei nach dem Roman von M. Blecher, K: Marius Panduru, D: Lucian Teodor Rus, Ivana Mladenovic, Marius Damian, 147' · DCP, OmU

Aferim!, Judes vorvorletzter Film, war eine Tiefenbohrung in rumänischer Literatur, bei der Radu Jude und sein Co-Drehbuchautor, der Schriftsteller Florin Lazarescu, phantastisch agile Szenen zutage förderten. Inimi cicatrizate spielt 1937, ein Jahrhundert später und Blechers Alter Ego Emanuel ist nun fixiert wie dieser – durch den Gips, mit dem das Sanatorium Knochentuberkulose therapiert. Fixiert, mit Abstand zu den verfallenden Körpern, sind auch die Bilder – wie die Sätze Blechers, der in gnadenlosem Abstand zu seiner Krankheit schreibt.

Die Literaturverfilmung in klassischem Sinne will „period piece" und Zitatsammlung zugleich sein: Zwischenkriegsausstattungskino zum einen, mittels Schrifttafeln unvermittelt Innen- und Außenperspektive changierende Montage zum anderen. Die historische Rekonstruktionsarbeit bekommt es mit audiovisuellen Speichermedien zu tun: Die Filmbilder haben abgerundete Ecken und zitieren das Academy-Format. Emanuel, in dem sich Judes Verständnis von Blecher als einem Autor der Avantgarde zeigt, provoziert seine Sanatoriumsgefährten mit zeitgenössischen Radiowerbungen. Die Destruktion ist ästhetisches Programm: Emanuel, den Jude biografisch näher an Blecher gerückt hat, als es dieser in seinem Roman Vernarbte Herzen getan hatte, fault von innen heraus. Auf dem Gang des Sanatoriums bricht das antisemitische Legionärslied in voller Länge in die von Emil Cioran und Constantin Noica vergeistigte Zeit ein.(ir)

DI 19.03. um 20 Uhr

FR 22.03. um 21 Uhr

One Floor Below

RO/FR/D/SE 2015, R: Radu Muntean, B: Radu Muntean, Alexandru Baciu, Razvan Radulescu, K: Tudor Lucaciu, D: Teodor Corban, Iulian Postelnicu, Oxana Moravec, 93' · DCP, OmeU

Radu Muntean ist der Zeitdiagnostiker unter den Regisseuren der neuen rumänischen Welle, keine anderen Filme geben so detailliert Auskunft über die Transformationen, die die Bukarester Mittelschicht seit dem Regimesturz durchlaufen hat. Hârtia va fi albastra (2006) fing in einer Revolutionsnacht 1989 an, drei Schulfreunde treffen sich in Boogie (2008) am Schwarze Meer, um ihrem noch jungen Familien- oder Berufsleben eine Erinnerung an frühere Freiheit abzutrotzen, Marti, dupa craciun(2010) inszeniert schließlich den Ehebruch und die Trennung in einer Gesellschaftsschicht, die arriviert zu sein beginnt, neues Bürgertum, mit seinen Insignien des Konsums.

Un etaj mai jos (2015) lässt, knapp 30 Jahre nach der Revolution, Vertreter zweier Generationen aufeinandertreffen, beide nunmehr erwachsen. Der eine hat sich mit einer Kfz-Zulassungsfirma selbstständig gemacht, der andere ist mit Rechnern großgeworden. Der eine nutzt kleine Beziehungen und schweigt sich Autoritäten gegenüber aus, der andere scheut keine Konfrontationen. Beide leben über einem Apartment, in dem eine junge Frau ermordet wurde. Blickwissen und Verdacht, Unterstellung, Perspektive und Gewissheit: das Drehbuchteam seziert erneut mit großem Raffinement zeitgeschichtliche Überlebensstrategien.(ir)

SA 23.03. um 19 Uhr

The Second Game

RO 2014, R: Corneliu Porumboiu, D: Adrian Porumboiu, Corneliu Porumboiu, 97' · DCP, OmU

Armee und Staatssicherheit werden ein Jahr später im gleichen Schneegestöber auf den Barrikaden des Regimesturzes einander gegenüberstehen. Noch ist 1988, und der Vater des Regisseurs Corneliu Porumboiu pfeift als Schiedsrichter das Fußballspiel des Jahres zwischen den Rivalen Steaua, dem Armeeverein und Dinamo Bucuresti, dem Verein des Innenministeriums. Porumboiu lässt die historische VHS-Aufnahme der Fernsehübertragung als Filmbild laufen, wie sein Vater Adrian sich einst dafür entschied, das Spiel laufen zu lassen, im Matsch, im Schnee, über Fouls hinweg. Auf der Tonspur unterhalten sich Vater und Sohn über Spielzüge und Politik, über Bildregie und Politik, bis die Materialqualität der Aufnahme und das Offscreen des Bildes eine Eigendynamik entwickeln, die der Sohn mit viel Selbstironie kommentiert: Eine genialisch einfache Versuchsanordnung über Entscheidungen, Biografien und Ästhetik, über das Filmemachen und die nie zu unterschätzende Bildpolitik.(ir)

SA 23.03. um 21 Uhr

Infinite Football

RO 2018, R: Corneliu Porumboiu, D: Laurentiu Ginghina, Corneliu Porumboiu, 70' · DCP, OmeU

Die vielleicht berührendste Szene zeigt den Regisseur Corneliu Porumboiu, wie er in einem schmalen Bücherregal in einem aufgegebenen Jugendzimmer einen Band zu finden hofft, den er als Jugendlicher dort suchte und den er mittlerweile vergessen hat. Sein Protagonist Laurentiu Ginghina ist der ältere Bruder eines Jugendfreundes. Porumboiu ist hier, weil Laurentiu die Regeln des Fußballs verändern möchte oder einen neuen Sport begründen will, dessen Spielregeln dem Ball größte Bewegungsfreiheit sichern. Der Regisseur findet Heideggers Holzwege im Regal. Das Buch gehört Laurentius Vater, der erstaunlicherweise auch Porumboius Hochzeitsbild hat vergrößern lassen, aus Gründen, die genauso mäandrieren wie die anderen Reflexionen dieser fußballspielenden Filmfamilie. Finden, was man zu suchen vergessen hat, ist so etwas wie die ästhetische Strategie des Films.(ir)

SO 24.03. um 18 Uhr

MI 27.03. um 20 Uhr

Touch Me Not

RO/D/CZ/BG/FR 2018, R/B: Adina Pintilie, K: George Chiper-Lillemark, D: Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein, 125' · DCP, OmU

Der rumänische Filmtitel ist ein Hybrid, eine grammatikalisch unmögliche Überlagerung zweier einander widersprechender Imperative: nu ma atinge/atinge-ma – berühre mich nicht/berühre mich. Drei Figuren kristallisieren sich heraus, Laura, Tomas und Christian. Sie setzen sich mit eigenem Begehren und Traumata, mit Exhibitionismus, Voyeurismus und S/M auseinander. Pintilies mittellanger Dokumentarfilm Nu te supara, dar... (2007) spielte in einer psychiatrischen Klinik, für sie „ein Film über Menschen, die es regnen lassen können". Paradoxien strukturieren Touch Me Not: klinischer Look für Berührungen, technische Apparatur für direkte Kommunikation, Erkenntnislosigkeit und Therapie, Bondage und Befreiung liegen nah beieinander. Die rumänische Filmförderung wollte diesen Berlinale-Gewinner nicht, sie lehnte zwei Mal ab. Europäische Förderinstitutionen auf allen Ebenen der Entwicklung, Produktion und Distribution wollten das Debüt hingegen unbedingt.(ir)

DI 26.03. um 20 Uhr

FR 29.03. um 18.30 Uhr

Ana, mon amour

RO/D/FR 2017, R: Peter Calin Netzer, B: Cezar Paul-Badescu, Iulia Lumânare nach einem Roman von Cezar Paul-Badescu, K: Andrei Butica, D: Diana Cavallioti, Mircea Postelnicu, Carmen Tanase, 127' · DCP, OmU

Für die Montagearbeit von Dana Bunescu vergab die Berlinale 2017 einen Silbernen Bären. Sie taktet retrospektiv die Szenen der Liebe zwischen Toma und Ana, wie sie Toma bei seinem Psychoanalytiker assoziativ entwickelt. Die Montage setzt sich dabei über Zeitläufe hinweg, lässt Aussparungen zu und unterscheidet nicht zwischen Erinnerung und Traum. Ana hatte eine Angststörung, als Toma und sie sich am Seminar für Rumänistik kennenlernten. Sie schließt erfolgreich eine Psychotherapie ab und erlebt das Ende ihrer Ehe als Befreiung.

Es ist alles ein wenig überladen in Ana, mon amour, überkonstruiert, wie in den Situationen, in denen man einen Psychoanalytiker aufsucht: ein Zuviel an Bedeutung, ein Überschuss problematischer Details, ein Versagen vieler, allem voran der Eltern und erstaunlicherweise der Kirche, eine gescheiterte Beziehung und trotzdem eine Liebesgeschichte.(ir)

DO 28.03. um 20 Uhr

Dogs

RO/FR/BG/QA 2016, R/B: Bogdan Mirica, K: Andrei Butica, D: Dragos Bucur, Gheorghe Visu, Vlad Ivanov, 104' · DCP, OmeU

Sechs Gopos, rumänische Filmpreise, fuhr das Team 2016 für Câini ein, einem Stück Genrekino zwischen Western, Thriller und Film Noir, platziert auf einem Landstrich zwischen Donau und Schwarzem Meer, wo nichts als Hitze und Staub ist. Ein faulender menschlicher Fuß, der von den Schweinen der nahegelegenen Farm abgebissen wurde, und ein bisschen Blut, das ein alternder Außenpostenpolizist vor seinem Krebstod in versenktes Gras gespuckt hat. Nächtlich einander kreuzende Scheinwerfer, auf die der angereiste Bukarester Roman, der das Land geerbt hat und verkaufen will, mit der Schrotflinte schießt. Es wird nicht geredet über das Geschäft des lokalen Mafiabosses, der seinen Fahrer, der das Telefonverbot missachtet hatte, mit dem Hammer erschlägt.Variety sah „einen zynischen, fast nihilistischen" Debütfilm. (ir)

SA 30.03. um 21 Uhr

Aferim!

RO/BG/CZ/FR 2015, R: Radu Jude, B: Radu Jude, Florin Lazarescu, K: Marius Panduru, D: Teodor Corban, Mihai Comanoiu, Cuzin Toma, 108' · Blu-ray, OmeU

Ob man sich ihrer in zweihundert Jahren noch erinnern würde und wie sie einem den Weg geebnet hätten, fragt Constandin, der Sprichworte sprühende Gendarm und Steuereintreiber, der mit seinem heranwachsenden Infanteristensohn Ionita rittlings das lichte Gestrüpp der walachischen Ebene teilt, behäbig, am frondienstreichen Kloster, an der flusswärts campierenden Roma-Familie und am herzzerreißenden Sklavenmarkt vorbei. Ein Roadmovie, das 1835 spielt, ein autochtoner Western: die Diener des abstrakten Gesetzes, dem Bojaren und seinem Recht noch untertan, dessen flüchtigen Leibeigenen Carfin jagend – Carfin, die Krähe, wie alle Krähen, sprich: Zigeuner, unfrei geboren, aber als Seelenmensch über dem Juden stehend, wie der orthodoxe Pope am Wegrand in weltumspannender Tirade predigt.

Es steckt, szenisch, linguistisch, dialektologisch, die ganze alte rumänische Literatur im Drehbuch, darunter die größten, Anton Pann, Ion Budai-Deleanu, Vasile Alecsandri und Ion Creanga, und in Carfils Erzählung von der Verführung durch seine Herrin ein Stück des Dekamerons, muntenisch verkleidet und nach Divan riechend, wie Mitchievici schreibt. Pandurus brillante Schwarz/Weiß-Fotografie bleibt bei Constandin und seinem Recht, als dieses mit Carfin gebrochen wird, hier kehrt keiner unbeschadet heim.(ir)