Dieses Buch ist eine unkonventionelle Einladung nach Rumänien: Junge, bislang wenig gehörte Stimmen der rumänischen Literaturszene zeichnen ein nuancenreiches Bild der rumänischen Gegenwartsliteratur, das so manches Klischee sprengt. Flankiert werden die modernen Texte von klassischen Erzählungen, die das wesentliche Element rumänischer Literatur erkennen lassen --- den Humor. Mit ihm gelingt es, die Absurditäten des Alltags einzufangen. Obendrein wird das Lesen zum Genuss.
Mit präzisen Schilderungen aus dem Alltagsleben geben sie eine Vorstellung von den Verwerfungen und Freuden des fortdauernden Übergangs. Eine der Diagnosen lautet: Toleranz und demokratisches Bewusstsein sind wohl nicht in einer Generation zu erwerben, schon gar nicht Solidarität. Nicht nur in Rumänien. „In der forteilenden Geschichte widersetzen die heutigen Autorinnen und Autoren sich der kulturellen Verelendung ebenso wie der Überwältigung durch die Phänomene der Globalisierung. Und sie tun es mit viel Witz und Phantasie."
In der Tat ist dies alles höchst vergnüglich zu lesen. Daniela Gherginas Erzählung über einen kleinen Jungen, der im Küchen-Idyll des großstädtischen Plattenbaus mit der vom Dorf zugewanderten Mutter und der Großmutter täglich die Todesanzeigen der Zeitung studiert, legt dar, wie der banale Überlebenskampf durch die Poesie eine tröstliche Überhöhung erlangen kann - und sei es die Poesie erfundener Nachrufe. In ähnlicher Weise kommt in Paul Mirons Erzählung „Die Bahnschranke" zum Ausdruck, dass jenseits aller Hindernisse die schlichte Anteilnahme am Schicksal des Nebenmenschen den wahren Wert des Lebens ausmacht, gerade in einem romanischen Land. „Ach je, Brüderchen", seufzt ein Straßenarbeiter, „wie mir das leid tut, wenn die Schranke sich wieder hebt, jetzt wo wir uns so angefreundet haben." Andere machen einen Aufenthalt im Gefängnis, einen Streifzug durch das Bukarester Nachtleben oder die brutale Schlichtheit der gängigen Telenovelas zum Ausgangspunkt ihrer Reflexionen.
Die Texte von 28 zeitgenössischen Autorinnen und Autoren, darunter rumänisch-sprachiger Nachbarn aus der Moldau-Republik sowie eines deutsch schreibenden Bewohners Siebenbürgens, sind geschickt versetzt mit fünf historischen Leseproben, etwa von Ion Luca Caragiale oder Alexandru Macedonski. „Es ist ein Versuch der Zusammenführung, und es zeigt, in welcher Weise in Rumänien die Kultur in Bewegung ist", sagt die Herausgeberin Elsa Lüder.
Elsa Lüder promovierte 1977 mit einer umfassenden Arbeit über die Stellung des Rumänischen in der romanischen Sprachfamilie und wirkt als Dozentin für rumänische Sprache und Literatur am Romanischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Sie befasste sich mit Wort- und Sprachgeschichte, zusammen mit Paul Miron führte sie das von Hariton Tiktin 1903-1925 herausgegebene rumänisch-deutsche Wörterbuch fort und gab eine Sprachfibel heraus. Ferner gehört sie zu den Bearbeitern der Monumenta Linguae Dacoromanorum und ist als Übersetzerin moderner rumänischer Literatur hervorgetreten. Intensiv verfolgt sie das kulturelle und politische Geschehen in Rumänien. Elsa Lüder gehörte schon seit 1974 zu den Initiatoren universitärer Partnerschaften und Austauschprogramme zwischen Ost und West.
Mitwirkende Autoren: Radu Andriescu, Michael Astner, Jean Bart, I.L. Caragiale, Luminiţa Cioabă, Mariana Codruţ, Lena Constante, Silviu Dancu, Nichita Danilov, Gabriel H. Decuble, Nicoleta Esinencu, Nicolae Filimon, Oleg Garaz, Daniela Gherghina , Mugur Grosu, Calistrat Hogaş, Florin Lăzărescu, Dan Lungu, Alexandru Macedonski, Cosmin Manolache, Paul Miron, Irina Nicolau, Adina Popescu, Adrian Schiop, Cella Sergi, Anamaria Smigelschi, Dan Sociu, Sorin Ion Stoica, Călin Torsan, Mircea Ţuglea, Nicolae Velea, Varujan Vosganian